Simona-Grazia Dima ist Dichterin, Essayistin, Literaturkritikerin und Übersetzerin. Sie erblickte in einer Temeswarer Schriftstellerfamilie das Licht der Welt. Im zarten Alter von acht Jahren gewann sie mit dem Einakter Masca lui Lică – Licăs Maske einen Wettbewerb des Puppentheaters ihrer Heimatstadt. Das Stück wurde in mehreren Städten Rumäniens wie auch in Italien aufgeführt.
Sie hat an der West-Universität Temeswar Rumänisch und Englisch studiert und als Landesbeste absolviert. Dort war sie auch Vorsitzende des Literaturkreises „Pavel Dan“ und veröffentlicht seither regelmäßig in namhaften rumänischen und ausländischen Zeitschriften. Ihre Gedichte wurden in sieben Sprachen übersetzt. Sie hat bisher zehn Gedichtbände sowie zwei weitere Bücher mit kritischen Essays verfasst.
Simona-Grazia Dima ist Sekretärin des P.E.N.-Zentrums Rumänien und hat ihr Land bei internationalen Kongressen vertreten. Sie wird in einschlägigen Literaturlexika geführt und ihre Lyrik wird regelmäßig in rumänischen und fremdsprachigen Anthologien veröffentlicht. Die Autorin lebt in Bukarest und arbeitet als Redakteurin bei der Rumänischen Akademie.
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JEMAND IM SCHNEE
Es schreitet jemand im Schnee, schreitet
strahlend und anonym und hält
einen Verkündigungsstab in den Händen und zähmt
mit anmutiger Kühle die Nacht,
die ihm flammend ins Antlitz bläst;
es ist jemand, der erheitert, erhellt
die Düsterheiten des Jahrhunderts und
aus dem grünen Stanniol klingt wie ein Wald,
in dem du dich verirrst und allwissend
lebst – ohne Schrift,
ohne Gesetze, ohne Alphabet –;
schreitet wolkig, mit dem Geruch von Stapeln
und vollen Regalen, in ausholender Geste
und einer regen, ewiglichen Konversation,
eine große Horde folgt ihm, es tönen Stimmen,
Hundegebell, sie erklingen unter unserem Fenster,
die Schellen an Knöcheln und Flügeln;
sie spritzen uns Champagner ins Gesicht,
darum stürzen wir uns mit so viel Gleichmut
in dankbaren Schlaf,
in der Nacht, die Silber über den
im Krampfschlaf liegenden Tiger schüttet.
DU
Hast mein Wesen so tief ergründet
ich empfinde dich als einen Saft
steigst auf und ab
fließt aus oder ziehst dich zusammen
überall hör ich dein
Wallen – noch tragisch.
Ich halte inne in der Nacht
kann nicht mehr atmen
vermute ein Ende
aber schau ich bin jenseits von ihm
es gibt kein so unansehnliches Getier
wie ich dachte
es sind mehrere Lichter
die ihre Antlitze enthüllen,
in den Speichen der Handflächen
einiger braver Wesen
sprudeln Weinchen
vom Gesetzesgemurmel durchdrungen.
Schneidest, geschickt, zwischen den Knochen
der Ereignisse und schließt
den Tag perfekt ab,
ich warte – jetzt, wenn
ich lediglich dein Minotaurusrauschen vernehme –
dich zu verschlingen, zu verinnerlichen:
Ich werde in deiner Sprache sprechen,
in deinem Gebet beten,
aus deinem Körper schreien,
in deinem Namen,
unverrückbar
vor mir selbst!
VOM WELTFRIEDEN
In Hultyk (der Akademikerstadt), auf den Feldern,
hör ich eine Schnecke stöhnen,
es ist alles was mich interessiert,
ich lasse den Kongress stehen und liegen, das Souper mit den Botschaftern,
und schmiege mein Ohr an die Erde,
um zu hören woher das feine Weinen kommt,
aus welchen Gräsern. Ich werde Ordnung
in diese Wiese bringen, sie alle baden
und ihnen singen, alle Biester sollen in hausgesponnene Seide gehüllt und liebkost werden,
wenn ich das erledige, wird Friede sein
und die Sonne wird scheinen,
erst dann werde ich in den Saal zurückkehren,
um meinen Vortrag weiter zu halten,
aber es steht eine Schokoladefabrik
an dieser Stelle, ich kontaktiere die einstigen Kollegen,
seit langem in Rente, sie erinnern sich allzu gut,
dein Vortrag wurde fehlerfrei vorgetragen,
die Botschafter haben dir die Hand gedrückt.
ROT IM NEBEL
Die Töne sind taub,
der Kämpfer Trompeten schweigen,
in der Ferne verhallt der Galopp.
Die Tapferen atmen keine frische Luft mehr,
Privilegium des Sieges.
Der geplante Kampf fand nicht mehr statt.
Die Konturen scheinen unklar zu sein,
vom Winde verweht sind die Gedanken.
Die Nächte, wilde Wölfe,
mit bitterem Speichel,
heulen im Schatten, wartend.
Wer bist du,
der mit den gesenkten Schultern
von tristen Erinnerungen,
wer bist du, der Verwehte,
doch nicht traurig, nicht beängstigt?
Wer in dir sieht im Nebel das Feuer
und spürt einen Hauch von Glück?
SACHEN
Es sind keine Gegenstände, sie stehen nicht unterjocht,
wir betrachten ängstlich ihre Dinosaurierrücken,
wie viel Gemächlichkeit! Sie haben
nur zu Hause Ruhe, in der Liebe, zum
Konversieren aufgelegt, am Jungbrunnen,
wo sie um deine Liebkosung bitten, um deine Suche
nach neuen Plätzen im Käfig beschwichtigter Unterwassersteine; der Hand wollen sie im Geben helfen,
können aber nicht anders als zusammenzuckend.
Angeschaut, aber nicht ins Herz, revoltieren sie
magmatisch. Du sendest ihnen die Geometrie aus den Augen,
durch einen Tunnel entfernter Kammern,
sie – ruhen am Ende in einem Kristall –
rettendes Ufer für Blick und Reise.
ABENDKONZERT
Und jetzt werden wir von Verunreinigungen
und Ansteckungen reden, vom Aufschieben des Mordes
bis zu seiner Verwandlung in Überfluss,
von allem Selbstvergessenen und
sich von den Rändern Entfernenden,
HERBST werdend,
sagte die Überlebende, Königin
des Oktobers, in der Aula Magna
der Universität Fluida, und las
weiter, bis ihr die Stimme zu versagen schien.
Sie schaukelte in brüderlichem Rhythmus den grünen
Labyrinthwirbel, in der Raummitte, aber kleine Wesen,
eine Unzahl (Elfen? Dachsen?), saugten gierig ihre Wörter,
man demonstrierte köstliche Gleichgewichte
in Schalen und Mörsern, und pfefferminzgleich kam von ganz unten
der erhabene Atem des Minotaurus, der sich freute, dass, ohne berührt noch getötet worden zu sein,
auch er teilnahm, durch die Wand, an der heiligen Musik.
JUGENDLICHE
Dauernd besudelt,
immerwährend beschmiert
mit Grün,
vergiftet,
belogen mit Wasser
Luft Feuer und Erde,
verkohlt
und stufenweise gekühlt,
versteinert
geschmolzen
in Abflusskanäle gerollt
mit Schmach bedeckt,
immerwährend Jugendlich
IM SCHICKSALSGEWÄSSER
Ich bin die ins Schicksalsgewässer
gemächlich infiltrierte Schlange.
Mein Kopf ist oben, über den Wellen,
mein Schwanz in den Tiefen der Wässer,
meine Schuppen leuchten wie die brennende Fayence
auf dem Dach der Türme.
Mittags, aufrecht (eine Kerze unterdrückten Feuers
im himmlischen Wasser, über Städten), schaue ich aus den Wolken
bis ins Herz der Taten.
Weil es mich dauernd dürstet,
bringen mir Vögel stündlich
einen Humpen Tau.
Ich umarme krummlinig den Ozean
und kein Tropfen rührt sich
ohne mein Wissen:
Ich befehle nicht, betrachte sie nur
und jeder Tropfen gebärt einen Fisch,
der mir fragend in die Augen schaut,
vorbereitet.
aus dem Rumänischen von Anton Potche
EINE FEDER
Geliebter Engel, du hast nicht achtgegeben
Auf deine Federn, eine hat er ausgerissen der
Pech Horizont. Sag nicht, es sei nur eine gewesen ganz
Ohne Bedeutung, sie ist so schwer wie eine Kugel die nach Pulver riecht und
Brennt.
Geliebter Engel, du hast es zugelassen, dass sie dir aus-
Gefallen ist und jetzt beschuldigt dich die klingende Sphaäre,
Zornerfüllt dreht sie sich in jenem Zimmer,
Wohin du, scheu, noch keinen Fuss zu setzen wagst. Tritt
Ein und nim sie zu dir, verlier sie nicht mehr
Aus den Augen, du bist der Vater und sie
Die ganze Welt, ein Ort der Feste, wo
Noch ungezählt: Planeten schweben, du aber bist
Inmitten: die königliche Inschrift.
DIE GEFAHR
Im Himmel gibt es Bankette,
Vernehmbar bis zu uns an –
Gestossen das Klingen der Engelsgläser,
Mitgenommen vom Wind verklingend
In der Nacht; (wer aber
Entfernt sich, die Himmels Gerusche
Oder wir?) und unsere Augen wandern
Andauernd aufwärts, hoffend,
Dass wir aufgenommen warden, dort,
Oder wenigstens ein Tropfen fiele herab
Ihres Elixiers. Gleichzeitig aber
Studiert konzentriert und kaltblütig
Eine Ratte die heutigen Börsenkurse.
aus dem Rumänischen von Dieter Schlesak
http://www.levurelitteraire.com/0NUMERO3/TEXTES/dima5.htm